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Presseinformation zur Ausstellung "a-side"
"a-side" ist ein azentrisches Arrangement aus grossformatigen Schwarz-Weiss-Kopien abfotografierter
Wohnblockanlagen, kleineren Hochglanzfotos sattgrüner Naturausschnitte und auf dem Boden plazierter
Fernseher, auf denen mit eintönigem sound unterlegte Videoloops laufen. Die über mehrere Papierbahnen
hinweg zusammengesetzten Kopien sind teilweise direkt an der Wand befestigt, teilweise an schmalen
stellwandähnlichen Holzrahmen festgeklebt. Gerade diese verschachtelt im Raum montierten filigranen
Paravents erzeugen eine provisorische Bühnenhaftigkeit. Als Kulissen fungierend, lassen sie den
Ausstellungsraum zum Schauplatz werden. Durch ihr räumliches Versetztsein entsteht ein unerwarteter Ort,
der nicht wirklich abgeschlossen ist, sondern überall Durchblicke erlaubt, auch räumliche Freistellen lässt.
Eine multiperspektivische Blickrichtung wird angeboten. Der ungelenkte Blick des Betrachters wird zum
tastenden, schweifenden Blick zwischen den Kulissen. Gesamtsicht und Einzelsicht wechseln einander ab.
Einzelne Fotos können ins Blickfeld geraten, um im nächsten Moment wieder durch die Endeckung von
Neuem - beispielweise den hinter den Paravents leicht versteckten Fernseher - abgelöst zu werden.
Irritierend wirkt dabei auch das Wechselspiel der verschiedenen Oberflächenästhetiken von Mattscheibe,
Hochglanzfoto und Kopie. Alle drei Medien zeigen Ansichten von Orten, Umgebungen, die der Betrachter
nicht verorten kann, da sie in ihrer jeweiligen Ausschnitthaftigkeit allgemeinen Bekanntheitsgrad
besitzen und doch keine spezifische Topografie beschrieben ist. Huber schafft eine artifizielle
Raumsituation, die in ihrer fragmentarischen Zusammengesetztheit merkwürdig wirkt, gleichzeitig
verstörend/ verwirrend und anziehend. Man kann sich nicht so recht zurechtfinden. Eine unwirkliche
Atmosphäre, obwohl tatsächliche Orte präsentiert sind. Denn der Künstler rekreiert im Medium der Kunst
von ihm real vorgefundene Orte, entwirft dabei aber ein gebrochenes Panorma, in dem die einzelnen
Elemente ebenso autark wie zusammengehörend erscheinen.
"a-side" ist wie eine Spurensuche nach jener örtlichen Schnittstelle zwischen urbanem Raum und angrenzender Natur, die
der Alltagsblick höchstens streift. Dabei markiert gerade das Marginale des Ortes, an dem sich in Hochhäusern konzentrierte
Zivilisation ausdünnt und achtlos Natur beginnt, die noch von städtischen AuslŠufern wie Kanälen und Bahntrassen durchzogen
ist, den künstlerischen Fokus. Dieser indifferente Ort - dieses Mal sind es Randgebiete Berlins - bildet einen ästhetischen
Bruch, wo industriell-städtische Umwelt in einen anderen Aggregatzustand übergeht, in dem Natur zwar wieder anwesend ist,
jedoch nicht in dynamischer, sondern in mechanisierter Form. Die räumliche Randzone wird zur seelisch-geistigen Aufbruchstelle.
Die grossformatigen, leicht unscharfen und von grösserer Distanz aufgenommenen Schwarz-Wei§-Kopien, "dokumentarische"
Bestandsaufnahmen von Wohngebieten, entfalten in ihrem Bezogensein auf die viel kleineren, in Hochglanzqualität präsentierten
Farbfotos ein dialektisches Spiel. In ihren eng gefassten Ausschnittswinkeln bauen diese die Illusion einer natürlichen
Gegenwelt auf. Realität und Ideal, empirische Wirklichkeit und Phantasieraum treten in einen Dialog. Das unbemerkte
Randgebiet generiert zum Vorstellungsraum ganzheitlicher Sehnsüchte nach einem Parallelismus von Natur und Geist, nach
Identität. Doch das Ideal wird als blosse Simulation, als eine von unendlich möglichen Wirklichkeitskonstruktionen dechiffriert.
Nicht nur der Blick auf die Natur aus dem parkenden Auto heraus verdeutlicht die Flüchtigkeit des Erlebens. Fragmentiert
erscheinen beide Wirklichkeitsebenen, das Gesamtbild der Gegend gibt sich eben nirgendwo zu erkennen. In ihrer Fragmentierung
relativieren sich die beiden Blickwinkel nicht nur gegenseitig und nivellieren etwaige Prädominanzansprüche, sondern
verdeutlichen die Unmöglichkeit, Welt als Ganzes noch zu fassen zu bekommen. Vielmehr stellt sich die Frage nach der
Verlässlichkeit von Sinnes- und Bildinformationen. In der Konfrontation von Realität und fiktionalem Vorstellungsraum wird
die Fluidität von Wahrgenommenem sichtbar. Dabei fungiert die Form des Fragments - durchaus im Sinne romantischer
Kunstvorstellung - in erster Linie als Denkanstoss, weniger als geronnenes Erkenntnismoment.
Die Videoanimationen eröffnen dann eine dritte Ebene von Wirklichkeitskonstrukten. Hier sind Realaufnahmen mit animierten
Figuren, die sich Huber aus im Internet zugänglichen Games herauskopiert hat, kombiniert. Die endlosen Loops eingeschränkter
Bewegungsabläufe vor abgefilmten, real existierenden Orten erzeugen eine äusserst realistische Kunstrealität, die in ihrer
Virtulität "echter" zu sein scheint als in der Phantasie imaginierte Seinszustände, wie sie die Farbfotos anbieten.
Dem Spiel mit drei Möglichkeiten von Wirklichkeitsaneignung entspricht die unterschiedliche künstlerische Medien
kombinierende Präsentationsform der Installation.
Längst haben sich festumrissene Wirklichkeitsmodelle aufgelöst. Als Konsequenz der damit einhergehenden Entgrenzung der
klassisch-idealistischen Vorstellung des Individuums bleibt die Osmose des Ich mit diversen Teilwelten, die ihm der
Mšglichkeit nach - virtuell - alle offen stehen. IdentitŠt ist zu einem work in progress geworden, auch wenn die Sehnsucht
nach Einheit als Aporie bestehen bleibt. Status quo ist eine permanente Transformation, oder besser Metamorphose, bei der
Realität, Fiktion und Simulation gleichberechtigte Teilsysteme des Versuchs einer Neudefinition von Wirklichkeit darstellen.
Hier kehrt sich humanistische Tradition um, nicht das Gleichbleibende, das Transitorische und Vorläufige ist Wirklichkeit.
Versteht man Ironie nicht im landläufigen Sinne, sondern als distanziertes Bewusstsein, das gerade aus der Distanz ein
Bewusstsein für die Relativität jeglichen Erkennens und Wahrnehmens hat, kann man Hubers Arbeiten als ernsthaft ironisch
verstehen.
Der poetische Blickwinkel der Farbfotos beschreibt das romantische Weltgefühl als Leerstelle. Idealität als
identitätsstiftendes Moment ist nur noch Simulation, die jedoch zur unverzichtbaren Reflexionsebene innerer Zustände wird.
Die fragmentierten Ortsbeschreibungen sind eine treffende Metapher modernen Lebens.
Jutta Voorhoeve
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