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zu Situation I. Im Rücken den Waldrand
Christoph Vögele
Die Doppelprojektion Im Rücken den Waldrand ist auf zwei gegenüberliegende Wände
ausgerichtet. Der Raum wird zum Korridor, der das Publikum umschließt und lenkt. Die Filme
scheinen frontal auf uns ausgerichtet. Eine junge Frau kommt uns entgegen, scheint uns wahrzunehmen,
wendet sich ab, rennt davon, kommt zurück. Die Abfolge der filmischen Sequenzen wird durch uns
selbst bestimmt. Bewegungsmelder nehmen jeden unserer Schritte auf. Mit dem Standort und der
Intensität der Bewegungen im Raum verändert sich die Reaktion des gefilmten Gegenübers:
Ruhe, Neugier, Angst und Panik lösen sich als Grundstimmungen ab. Daß wir sie in dieser
interaktiven Arbeit selbst bestimmen können, ist vorerst kaum erkennbar. Zu sehr sind wir
gefordert, das beidseitig Gezeigte aufzunehmen. So wie uns die Frau im Film bald ihr Gesicht,
bald den Rücken zuwendet, so drehen wir uns mal hierhin, mal dorthin. Ob wir die Frau als
Fremde, Freundin oder verängstigtes Opfer erleben Ñ letztlich teilen wir mit ihr denselben
abgeschlossenen Zwischen-Raum: einen Streifen Wiesland, beidseitig von Wald umschlossen, einen
Käfig, trotz idyllischer Lage und Vogelgezwitscher. Huber vergleicht ihn mit den »unsichtbar
umrissenen Räumen bei Francis Bacon«.
Die räumliche Suggestion wird mit einfachen Mitteln erzeugt. Dieselbe Szene ist gleichzeitig aus
gegenüberliegenden Positionen aufgenommen. Kameras kommen nicht ins Bild; sie wurden bewußt
im Buschwerk der angrenzenden Waldränder versteckt. Dadurch ergibt sich ein Gefühl von
Voyeurismus. Das Gegenüber kann uns weder sehen noch hören. Gleichwohl scheint uns die
Frau wahrzunehmen, kommt uns bald fragend, bald lächelnd entgegen, zuweilen ganz nah. Mit dem
Unvermögen, die räumliche Zwei-Fronten-Situation zu überblicken oder in einen
dauerhaften Blickkontakt mit der jungen Frau zu treten, wächst unsere Irritation. Das
Wechselspiel der gefilmten Reaktionen zwischen Sympathie und Panik, zwischen Nähe und Distanz,
macht uns unweigerlich zu Rollenträgern. Bald erleben wir uns als Freundin oder Freund, bald
als Angstmacher, ja Täter. Obwohl sich die Videoinstallation deutlich als Kunst-Produkt
offenbart, fällt es schwer, den Projektionen ohne Projektionen zu begegnen und sich ihnen
wieder zu entziehen. So gestellt die Szenen sind, so wirksam ist die räumliche und
psychologische Wirkung der Videoinstallation. Hat das Publikum die interaktiven Möglichkeiten
einmal erkannt, mag es sich auf die Projektionen auch spielerisch einstellen. Gleichwohl bleibt
hinter dem Spiel von Aktion und Reaktion, von realem Tun vor künstlichem Schein der ernste
Kern als Erinnerung erhalten: das Nicht-Zueinander-Kommen, die Einsamkeit vor und in der
Projektion, die Angst vor dem Unsichtbaren.
Christoph Vögele